Bericht von Viktor Maschke

Karibu Kenia – Erfahrungsbericht

 

Mein Name ist Victor, ich bin Zimmerergeselle und befinde mich seit 2013 auf traditioneller Wanderschaft. Dies bedeutet, dass ich meinen Heimatort Erfurt für mindestens drei Jahre und einen Tag verlasse und ich in dieser Zeit stets mindestens 50 Kilometer Abstand zu diesem halte. Jenen gedachten Kreis um den Herkunftsort nennen Wandergesellen auch die Bannmeile. In den Wanderjahren sollen die Gesellen vor allem neue Arbeitspraktiken, fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen sowie Lebenserfahrung sammeln. Außerdem versuchen wir dabei für das Fortkommen sowie für die Unterkunft kein Geld auszugeben, sowie auf den Besitz eines Telefons zu verzichten.

So trug es sich 2015 zu, dass ich als ich an einer Kölner Autobahnauffahrt den Daumen in die Luft hielt, auf die wegen mir haltende Amelie Boskamp traf. Sie erzählte mir von der Möglichkeit im Rahmen ihrer Stiftung ein Stipendium für eine Reise in den außereuropäischen Kulturkreis zu bekommen und daraufhin bewarb ich mich sofort. Ich wollte schon immer gern den Sub-Sahara-Raum kennenlernen und somit kam ich nach reichlicher Überlegung zu dem Schluss, dass ich gern in der europäischen Winterzeit den afrikanischen Staat Kenia besuchen möchte.

Nach anfänglichen Organisationsschwierigkeiten verliefen die Vorbereitungen letztendlich problemlos. Ich buchte meinen Flug für Mitte Januar 2016, organisierte ein East-Africa-Visum (welches auch den multiplen Eintritt in den Ländern Uganda und Ruanda gewährleistet) und verließ Deutschland planmäßig jedoch ohne vorige Planung meines Aufenthaltes. Die einzigen fixen Daten, die ich zu diesem Zeitpunkt hatte, waren das Ankunftsdatum in der Hauptstadt Nairobi und dass eine Woche später ein anderer Wandergeselle dazu stoßen wird und dass eine weitere Woche später noch ein anderer Reisekamerad ankommen soll. So entschied ich mich die erste Woche allein sowohl meteorologisch als auch gesellschaftlich als Akklimatisierungszeit zu nutzen. Das Wetter betreffend ist zu sagen, dass Kenia am Äquator und am Indischen Ozean liegt und somit zwei Regen- und zwei Trockenzeiten im Jahr hat. Ungefähr Anfang Januar beginnt eine Trockenzeit, welche bis circa Ende März andauert. Dies sorgt in dem auf fast 1800 Meter liegendem Nairobi für angenehm warme Temperaturen. Die Hauptstadt selbst ist nach westlichen Vorbild errichtet; zentral liegt ein Central business district mit sehr hohen Gebäuden, sowie schachbrettmäßig angelegten Straßen, die tagsüber von geschäftigen Menschen brechend voll sind. Umgebend schließen sich im Norden und Westen der Stadt die Suburbs der reicheren Bevölkerung an. Im Osten befinden sich die Slums und Wohngebiete der Ärmsten der Armen.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel über diese befremdliche Metropole. Oberklassewagen mit Menschen in Anzügen und edlen Kleidern fahren an mir vorbei, im gleichen Augenblick werde ich von einem verwahrlosten Rollstuhlfahrer um eine Spende gebeten oder von einem anderen wirr durch die Stadt geführt, denn ich bin Weißer. Egal ob man viel oder wenig Geld hat, man hat mehr als die meisten Menschen und sie wollen ein Stück vom Kuchen. Ständig hört man „Karibu Kenia“, willkommen in Kenia, jedoch wollen die meisten eine finanzielle Unterstützung für ihre Freundlichkeit. Auch die Polizei ist ständig um die Sicherheit von Touristen besorgt. Aber eigentlich warten die hiesigen Beamten nur auf einen kleinen Fehltritt, damit sie Schmiergelder eintreiben können. All diese Erkenntnisse ließen mich zu dem Schluss kommen, dass ich mich vorerst unter meinesgleichen bewegen wollte. Deswegen suchte ich ein Backpacker Hostel auf. Diese preisgünstigen Herbergen sind maßgeschneidert auf Reisende mit schmalen Budget und oder Rucksacktouristen, die auf Camping eingerichtet sind. So sprach ich nach alter Tradition beim Besitzer des Etablissements für einen Austausch von Arbeitsleistung gegen Unterkunft vor. Jedoch war dieser von meiner zünftigen Bekleidung und meiner doch eher untypischen Anfrage nicht vollends überzeugt, so gewährte er mir nur einen Rabatt für die erste Nacht und gab mir die Aussicht auf künftige Aufträge. Bereits am nächsten Tag zeigte er mir die Abstellkammer und die darin befindlichen Materialien und Werkzeuge und wies mich an die Türen und deren Beschläge auf Vordermann zu bringen. Dies tat ich mit den rudimentären Mitteln, die mir zur Verfügung standen und somit verbrachte ich die ersten Tage in Kenia im besagten Backpacker Hostel und schmiedete weitere Pläne. Als es soweit war, dass der erste Reisekamerad ankam, machte ich mich auf den Weg zum Flughafen, da ich ihm mit meinen bisherigen Erfahrungen zur Seite stehen wollte. Obwohl er ziemlich erschöpft von der langen Anreise war, konnte ich ihn überzeugen das energieziehende Moloch Nairobi noch am selben Tag mit einem Nachtbus Richtung Küste zu verlassen. Ich hatte große Lust endlich unter Palmen am Strand zu entspannen und so fuhren wir nach Mombasa. Vom Regen in die Traufe kamen wir gemeinsam am nächsten Morgen in der zweitgrößten Stadt Kenias an. Die Temperaturen an der Küste sind bedeutend heißer als im Inland, die Bevölkerung ist muslimischer geprägt. Da ich nicht in der Stadt bleiben wollte, empfahl ich meinem Freund ein weiteres Matatu (kleinere Reisebusse mit festgelegten Routen, aber variablen Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten) zu benutzen, um zu einem Ort namens Kilifi zu kommen. Ich hörte von einer Freundin in England, dass dieser Distrikt Kenias sehr schön sein soll und sie gab mir auch die Adresse einer Eco-Lodge, bei welcher man auch nach Arbeit fragen könnte. So kam es, dass zwei völlig übermüdete Wandergesellen in einem überfüllten Kleinbus weitere 60 Kilometer Richtung Norden die Küste hochmachten. Kilifi town ist ein nicht allzu kleiner, jedoch sehr beschaulicher Ort direkt an einer Flussmündung am Indischen Ozean. Die Eco-Lodge namens „Distant relatives“ war schnell gefunden. Dort angekommen gönnten wir uns erst einmal eine ausgedehnte Pause. Doch schon der nächste Tag überraschte uns mit einer sehr interessanten Begegnung. Wir trafen abends am Volleyballfeld eine Gruppe von vorwiegend Europäern, die offensichtlich schon länger in der Gegend war. Sie erzählten uns von ihrem Projekt namens Musafir (arab. Reisender), welches sich seit vier Jahren damit beschäftigt in Interaktion mit den Einheimischen eine der größten Daos (arabischer Bootsbaustil) herzustellen, um im Anschluss mit ihr und einer Crew zusammengesetzt aus verschiedensten Kompetenzpartnern die Welt zu bereisen. Die Idee dabei ist es, zwischenzeitlich vor Anker zu gehen und somit an verschiedenen Orten Wissen zu teilen bzw. zu mehren. Wir bekamen kurzerhand eine Einladung zu der Baustelle, als wir erzählten, dass wir Wandergesellen sind, die im Umgang mit Handwerkszeug geschult sind. Es war kein langer Fußmarsch runter zum Strand an der Flussmündung, wo das halbfertige Boot schon im Wasser lag. Der Rumpf schon fertig, die zwei Maste gerichtet, das erste Deck wurde erst vor ein paar Tagen fertiggestellt. Wir wurden angeheuert, die zum Teil lokalen Bootsbauer beim Errichten eines Achterdecks zu unterstützen. Teil des Deals war, dass wir verpflegt werden und abends an Bord schlafen können. Jackpot- wir hatten an einem wunderschönen Ort mit netten Menschen ein unterstützungswürdiges Projekt gefunden, welches uns aufnahm. Es war klar, dass wir hier mindestens solange ausharren würden bis der Dritte im Bunde sich uns anschließen würde. Dies geschah auch wenige Tage danach, er hatte sich mit der Adresse des Backpackers ausgerüstet von der Hauptstadt bis zu uns an den Strand durchgeschlagen. Vereint verbrachten wir drei sehr schöne Wochen mit der Arbeit an der Musafir, am Strand mit unserer neuen Bezugsgruppe, die uns das Land, die Kultur und die Menschen näher brachte.

An dieser Stelle sei jedoch auch erwähnt, dass die gesamte Küstenregion und auch die Gegend um den Victoria See zu den riskanten Malaria-Gebieten Afrikas zuzuordnen sind. Ich persönlich habe mich gegen jede medikamentöse Prophylaxe entschieden, da diese Mittel starke Nebenwirkungen wie Ausschlag oder Kraftlosigkeit haben können und deswegen meiner Meinung nach für einen mehrwöchigen Aufenthalt nicht zu empfehlen sind. Wichtig hingegen ist der physikalische Schutz wie das Schlafen unter einem Moskito-Netz, so und durch einen Funken Glück habe ich diesbezüglich meine Afrikareise gut überstanden.

Auch die Zeit im Norden der Küste nahe der Grenze zu Somalia war sehr aufschlussreich. Die frische Meeresluft hielt uns an der Küste und so entschieden wir uns den Reiseempfehlungen nach Lamu zu folgen. Dieses nicht weit vom Festland entfernte Archipel besteht aus drei Hauptinseln, welche seit dem fünften Jahrhundert von afrikanischen und arabischen Händlern besiedelt wurden. Auch die Eroberung durch den Sultan von Oman 1698 verleiht dem Zentrum von Lamu Town den Medina-Charakter arabischer Siedlungen. Handwerkskunst (Dao-Stil-Bootsbau, Lamu-Stil-Türen) und Handel, vor allem mit Sklaven, ließen die Entwicklung der Inseln einst florieren. Jedoch endete die goldene Zeit 1907 mit dem Sklaven-Handelsverbot. Heute leben viele Ortsansässigen vom Fischfang, vom Obst- und Gemüseanbau und dem Tourismus, der aber wegen den derzeitigen Grenzkonflikten zwischen Kenia und Somalia stark nachgelassen hat. Aus diesem Grund rät momentan das Auswärtige Amt von einem Besuch ab. Ich hingegen möchte nicht missen dort gewesen zu sein, auch wenn die Anreise über Land relativ beschwerlich war. Denn zu dieser Zeit gab es noch keine durchgängig befestigten Straße nach Lamu.

Wir versuchten eine Woche lang vergeblich irgendeine Anstellung im Inselparadies zu bekommen. Da diese Möglichkeit ausblieb, entschieden wir uns zurück nach Mombasa zu fahren. Ein befreundeter Wandergeselle hörte, dass wir drei uns in Kenia aufhielten und schickte uns daraufhin die Kontaktdaten von alten Bekannten in der Küstenstadt. Dort angekommen erkundeten wir gemeinsam mit unseren neuen Gastgebern die Umgebung und nutzten unsere freie Zeit, um im Austausch kleinere Reparaturen rund ums Haus vorzunehmen. Nach einer Woche drückte es im Reiseschuh und schon saßen wir im Zug nach Kenia. Dieser fährt unter anderem an einer Hauptstraße entlang, die von den englischen Besatzern zum Zwecke einer Anbindung der Küste mit dem Victoria See errichtet wurde. Da wir noch andere Regionen des Landes bereisen wollten, zog es uns zurück nach Nairobi. Aber die Infrastruktur des Landes ist relativ zentralisiert auf die Hauptstadt angelegt, somit mussten wir erst einmal den gleichen Weg zurück. Dieses Mal entschieden wir uns für die Schienen. Meistens ist mit langen Wartezeiten zu rechnen, daher ist hierbei der Aufpreis für ein Schlafabteil sehr empfehlenswert. Die Fahrt verläuft durch National Parks, die einiges zu entdecken bieten.

In Nairobi besuchten wir eine Deutsche, die wir an der Küste in Kilifi kennen gelernt hatten. Sie lud uns ein in ihrer Wohngemeinschaft ein paar Tage unterzukommen. Dort eingezogen begonnen wir wiederum mit der Arbeitssuche. Zum einen wurden wir von der Wohngemeinschaft nach dem Bau einer Sitzecke im Wohnzimmer der WG gefragt, zum anderen wurde wir im kulturellen Viertel der Stadt angesprochen, ob wir nicht Lust hätten ein Baumhaus zu bauen. Nach ersten Vorplanungen wurde dieses Arbeitsangebot jedoch wegen rechtlicher Bedenken zurückgezogen. Wir starteten einen weiteren Ortswechsel Richtung Westen mit der Intension bis Kisumu am Victoria See zu gelangen. Mithilfe des Matatus erreichten wir auf halben Weg nach Kisumu den Lake Naivasha. Hier verweilte unsere Reisegruppe, um einen kurzen Blick in eine einzigartige Tierwelt werfen. Vögel aller Art, Zebras, Giraffen und vor allem Flusspferde sind dort zu Hause. Außerdem wird das Wasser des Sees genutzt, um die gigantische Zierblumenproduktion Kenias zu gewährleisten. Denn um den Lake Naivasha befinden sich tausende Gewächshäuser, in denen Blumen für den Weltmarkt-Export gezogen werden.

Jedoch sind die Preise für Unterkunft und Verpflegung für Touristen exorbitant hoch, sodass wir noch vor Erreichen des Victoriasees wieder umkehren mussten, da unsere finanziellen Mittel aufgebraucht waren. Wir kehrten zu unserer Freundin nach Nairobi zurück und beratschlagten unsere restliche Zeit in Kenia. Der 3. Reisekamerad schlug vor einen Deutsch-Kenianer im Norden des Landes nahe dem Mount Kenya (2. höchster Berg Afrikas) zu besuchen. Er hatte diesen bei seiner Ankunft am Flughafen kennengelernt und seine Kontaktdaten bekommen. Diese Option bot uns eine kostenfreie Unterkunft, die Möglichkeit mehr von Land, Leuten und Kultur kennenzulernen und vielleicht Arbeit zu finden.

Die Gegend um den Mount Kenya herum ist im Vergleich zum Rest des Landes äußerst fruchtbar. Hier gibt es zahlreiche Farmen und Liegenschaften, welche sich oft im Besitz von Ausländern befinden. Auch das Klima ist milder als im Rest des Landes und somit attraktiv für Menschen aus anderen Erdteilen. Der Mensch, den wir besuchten, lebt in einem kleinen Ort an der Ringstraße um den Berg. Bei gutem Wetter konnten wir sogar den Gipfel sehen. Eine Besteigung war aus finanziellen Gründen ausgeschlossen, da wir neben dem Eintrittspreis des Nationalparks auch einen Tour-Guide hätte bezahlen müssen, welcher bei 50 Euro am Tag liegt. Doch unser Gastgeber unternahm mit uns Tagestouren in der Umgebung, wobei wir beispielsweise einen lokalen Steinbruch besichtigten. Dort halfen wir den Arbeitern aus grob ausgeschlagenen Blöcken Mauersteine oder aus großkörnigen Kies mittels Hämmern Kleinkörnigen herzustellen.

Außerdem lernten wir die Familie des Gastgebers kennen und halfen im Haushalt wo wir konnten. Unsere Reisegruppe verbrachte die letzten gemeinsamen Tage, denn ab hier trennten sich unsere Wege. Mit einem Reisekamerad begab ich mich ein finales Mal zurück nach Nairobi, um unseren Rückflug nach Europa zu bekommen und der letzte im Bunde bestieg ein Flugzeug, welches ihn weiter auf die Seychellen brachte.

Rückblickend muss ich sagen, dass Kenia ein sehr gutes Afrika-Einsteigerland ist. Die vergleichsweise stabile politische Situation und der Fakt, dass die meisten Menschen gute Englischkenntnisse haben, gestalten das Reisen im Land als sehr angenehm. Auch die meisten Leute, die wir getroffen haben, sind über die Maßen offen und gastfreundlich. Es gab vieles zu entdecken und die Unterschiede zum europäischen Kulturkreis sind enorm.

Abschließend kann ich vermerken, mein Plan den Winter in Warmen zu überdauern, ist vollends aufgegangen und ich kann ein Kenia-Besuch nur bestens empfehlen.