Bericht von Susanne Rochensüß

-NIMA mein Ghana-

Ghana ist wohl eines der bestentwickelten Länder Westafrikas. Mit einer Fläche von knapp 239.000 Quadratkilometern und ca. 25.242.000 Einwohnern zählt es aber zu den eher kleineren Ländern des schwarzen Kontinents. Trotz der publizierten  „Fortschrittlichkeit“  gilt Ghana weiterhin als Entwicklungsland, auch  in den Bereichen Bildung und Gesundheit.  Die Amtssprache in Ghana ist Englisch und überwiegend sprechen und verstehen  die meisten auch Twi  (eine der vielzähligen Lokalsprachen).

Nima ist einer der wohl  ärmsten und dicht bevölkertsten Stadtteile in Mitten der Hauptstadt Accra. Geschätzte eine Millionen Menschen leben dort auf kleinstem und einfachstem Raum. Ringsherum erstrecken sich große Highways, entlang von Einkaufszentren und Hotels, um den Stadtteil einzugrenzen und dessen „wachsen“ einzudämmen. Nima wirkt wie eine zweite Stadt in der eigentlichen Stadt. Dort  spricht man aufgrund der muslimischen Prägung kein Twi sondern Hausa und auch die dennoch bunte Kleidung  und die Kopfbedeckungen variieren etwas vom großen Ganzen. Einfach etwas anders und dennoch typisch ghanaisch, denn Nima ist Ghana in Gänze. Nirgends findet man so viele unterschiedliche Menschen auf engstem Raum, die alle zusammen funktionieren, sich tolerieren und ihr ganz eigenes Lebensmodel Community zelebrieren.

Während auf den anderen Seiten der Highways die „bessere Entwicklung“ in Form von Einfamilienhäusern, Companies und kleinen Gärten zum Vorschein kommt, läuft in Nima nicht einmal das Wasser aus der immerhin vorhandenen Leitung, was neben ständigen Stromausfällen schon zur Gewohnheit geworden ist. Die überwiegend sehr großen Familien leben in Compound- Häusern die aus Lehm gebaut werden. Diese beherbergen im Durchschnitt  zehn 1-2- Zimmer- Wohnungen mit ca. 10- 20 qm Wohnfläche. Dies ist der Lebensraum für eine meist vier- bis achtköpfige Familie inklusive Neugeborener und Großeltern.  Die Wohnungen sind in einem Rechteck um einen Innenhof herum gebaut. Vor dem Compound findet man das dazugehörige Duschhäuschen in dem man mit einem Eimer voll selbstgeschöpften Wasser duschen kann. Für alles andere müssen die Public- Toillets benutzt werden, die im Abstand von ca. 200- 300 m zu finden sind. In Innenhof spielt sich das ganze Familienleben ab. Es wird dort gemeinsam mit allen Bewohnern gekocht, gewaschen (mit der Hand versteht sich) und der Tag gemeinsam verlebt. Geht man aus seinem Compound heraus so steht man auf einer unasphaltierten Straße die meist an einer Seite von einem Gatter (das überirdische Abwassersystem Ghanas) abgegrenzt wird. Auf der Straße spielt sich dann das restliche Leben ab. Menschen, Autos, Roller, Tiere, Alle und Alles durcheinander und doch in einer logischen Ordnung, die bestens zusammen funktionieren. Die Menschen kaufen und verkaufen Essen, handgefertigte Waren und andere Güter. Dicht gedrängt geht man über den Markt und durch die schmalen Gassen zwischen den Compounds, wo es neben den besten Chopbars Accras alles gibt was man in Ghana zum Leben braucht.

Dennoch gibt es viele, noch sehr junge Frauen, die eigentlich noch keine Kinder haben wollen oder haben sollten, nicht zu Letzt weil sie noch unverheiratet sind und dies ist in einer muslimischen Gemeinde ein großes Thema. Noch vor ein paar Jahren wurden diese jungen unverheirateten Mädchen aus der Familie verstoßen und aus der Schule rausgenommen. Die Zukunft dieser Frauen war damit ebenso besiegelt, wie die der Neugeborenen, die bald auf die Welt kommen sollten. Heute hat sich dies Zumindest in der Form geändert, dass die Mädchen trotzdem der Umstände, irgendwie in der Community aufgefangen werden und ihren Lebensraum nicht verlieren, wenn auch gleich der Ausschluss aus der Schule und somit der Teufelskreis mangelnde Bildung weiter unumgänglich ist.

Warum aber gibt es gerade in sehr einfach strukturierten und armen Gegenden so viele Münder zu stopfen? Das Essen, Geld  und der Lebensraum sind  ohnehin schon so knapp und dann kommen immer noch mehr dazu. Warum gibt es so viele schwangere junge Mädchen in einer Gegend in der Sex vor der Ehe eigentlich verboten ist? Diese Frage habe nicht nur ich mir als ausgebildete Hebamme, sondern auch eine gemeinnützige deutsch- ghanaische NGO aus Hessen gestellt.

Gemeinsam mit der Hilfsorganisation Nima e.V Ghana Hilfe habe ich versucht herauszufinden wie der Bildungsstand in den Bereichen sexueller Gesundheit und Prävention in Ghana und besonders in Nima ist und ob man dem Ganzen nicht doch etwas entgegenwirken kann.  Die NGO unterstützt seit Jahren zahlreiche Kinder und deren Familien in Nima und weitere Kinder in Ihrem Kinderheim und einer Schule in Tuba, in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung. Neben diesen Einrichtungen hat die NGO auch eine Wohnung und den ghanaischen Vereinssitz  in einem der beschriebenen Compound- Häuser  in Nima gebaut. Diese Räumlichkeiten dienen zum einen als Office für das Stipendiatenprogramm, als auch als Unterbringungsmöglichkeit für Volontiere und  Mitarbeiter in Ghana.  

Wie also kann man besser Ursachen erforschen und erkennen, als selbst gänzlich in die Entstehungsumgebung einzutauchen?  Für zwölf Wochen bin ich  also in diese Wohnung eingezogen und habe dort mit normalen ghanaischen Familien zusammen in einem Compound das  reale „Nimaleben“ gelebt, Wasser geschleppt, mit dem Eimer geduscht und meine Wäsche mit der Hand gewaschen. Und ich kann mit Sicherheit sagen, dass es mir an Nichts gefehlt hat, ganz im Gegenteil, ich habe dazu gelernt und dazugewonnen.  

Neben der täglichen Arbeit im Stipendiatenprogramm (unteranderem Besuch der Schüler in den Schulen und in ihren Familien, Bezahlen der Schulgebühren, Uniformen, Bücher und Sicherstellen der gesundheitliche Versorgung) habe ich verschiedene Wege genutzt um gemeinsam mit dem ghanaischen Team Ursachen und Auswirkungen der offensichtlich mangelnden Aufklärung aufzuschlüsseln.  In Gesprächen und Informationsveranstaltungen, sowie einzelnen Teachings mit allen Zielgruppen haben wir uns hauptsächlich auf die nachfolgenden Punkte konzentriert:

  1. Teenage- Pregnancy and Disadvantages of Teenage- Pregnancy

  2. HIV und STD’s , Spreading of  sexual transmitted Diseases (incl. HIV/ AIDS)

  3. Menstrual Cycle

  4. How to protect yourself against Pregnancy/ HIV and How to use Condoms

  5. Sings and “First-Aid” in Case of Sexual Child- Abuse/ and Abuse in general

Im Allgemeinen zeigten sich alle sehr interessiert für diese Themengebiete. Dennoch wurde schnell klar, dass eine gewissen Scham und Gehemmtheit der Hauptgrund ist, warum der Kommunikationsfluss und Informationsaustausch so schwierig scheint. Ich habe in diesen Wochen so viele, persönliche und auch ergreifende Geschichten gehört, dass ich diese nicht in Gänze wiedergeben kann und will. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass viele Schicksaale und Situationen dort nicht aus der Religion oder ähnlichem geboren sind. Eine gewisse Machtlosigkeit gegenüber dem System und eine stille Akzeptanz von eigentlich unakzeptablen Gewohnheiten spielen eine größere Rolle als uns vielleicht bewusst ist. Die Erfragung des Wissensstandes aller Zielgruppen im Bereich Aufklärung ergab schließlich, dass ein gewisser Grundstock an Informationen vorhanden ist, aber der Umgang mit all diesen Themen weiter sehr befremdlich scheint. Neben der Weitergabe zusätzlicher, sowie neuer Informationen und des Ausbaues des bisherigen Wissensstandes, bestand meine Arbeit hauptsächlich darin, die Menschen mit den Themen vertrauter zu machen und ihnen die Scham und die Angst davor zu nehmen, ihnen ihre Rechte aber auch ihre Pflichten zu verdeutlichen. Der offene Umgang mit dem Thema Sex und all den damit weiterhin verbundenen Themengebieten ist sowohl kulturell als auch erziehungsbedingt eine große Hürde für alle Beteiligten gewesen. Gerade in einer sehr muslimisch geprägten Gegend ist das ganze Thema rund um Liebe und Sexualität stark auf das Privatleben konzentriert und läuft in den eigenen vier Wänden ab. So offensiv die Liebe in der Community zelebriert wird, so versteckt ist doch die Liebe zwischen Mann und Frau.  Nach mehreren Meetings und dem Aufbau einer Vertrauensbasis aber zeigte sich schließlich eine deutliche offenere Kommunikation und auch ein erhöhtes Interesse in Verbindung mit dem wachsenden „Vertraut werden“.

Im Großen und Ganzen scheint uns eine zumindest „beginnende Enttabuisierung“ der o.g. Themen gelungen zu sein. Ein kleines Movement war bereits im Gange und mit der nötigen Antriebskraft haben wir es geschafft das Rad vorerst am Laufen zu halten. Letztlich geht es nicht nur um die Bildung der Menschen in diesen Themen, sondern vielmehr darum ihnen den Mut zu zusprechen ihr vorhandenes Wissen uneingeschränkt anwenden zu dürfen. Es geht darum ihnen den Mut und die Kraft zu geben, Fragen zu stellen, Antworten zu bekommen und Antworten geben zu können, egal ob in der Familie, in einer Beziehung oder auch und gerade in der Öffentlichkeit. Auch wenn es nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist, hat sich an einer winzigen Stelle im System etwas bewegt und wir hoffen dass die Jugend von Nima nicht aufhört weiter fleißig an diesem Rad zu drehen.